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Der Fall Fählensee – oder die fast grenzenlose Gefrässigkeit des Namaycush

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pa020024

Der massive und anhaltende Fangrückgang im Appenzeller Fählensee war Fischern und Behörden über lange Zeit ein Rätsel. Mit einer gross angelegten Untersuchung ist man dem Verursacher nun auf die Spur gekommen.  Dichte Nebelschwaden zieren den kühlen Oktobermorgen über dem Appenzeller Fählensee, als die 18 Grundnetze mit gekonnten Handgriffen eingeholt werden. Nervosität und Spannung liegen in der Luft – denn noch ist unklar, ob er wirklich da ist, der gros­se Räuber. Die Rede ist von Salvelinus namaycush, dem kanadischen Seesaibling: Von Fischern für sein Fleisch und anmutiges Aussehen geliebt, von andern Fischen als gieriger Räuber gefürchtet. Könnte sein Appetit wirklich der Grund sein für die unerklärlichen Fangrückgänge im idyllisch gelegenen Fählensee im Appenzeller Alpstein oder haben diese doch andere Ursachen?  Rätselhafter Fangrückgang Seit 15 Jahren brechen die Fangerträge im Fählensee dramatisch ein. Konnten in Spitzenjahren noch jährlich über 1400 Fische angelandet werden, so müssen sich die Fischer heute mit 150 pro Jahr zufriedengeben. Über die Gründe für den Fangrückgang gab es viele Vermutungen und wilde Spekulationen, die bis hin zu Gewässerverschmutzungen und Vergiftungen im Bergsee reichten. Eine vom Kanton Appenzell Innerrhoden in Auftrag gegebene Studie kam zu einem anderen – für viele Fischer vielleicht weniger sympathischen – Ergebnis. Nachgegangen waren die beauftragten Gewässerökologen vielen Spuren: Ist der See zu nährstoffarm – oder doch zu nährstoffreich? Liegt es am sauerstoffarmen Tiefenwasser oder nehmen schlicht weniger Fischer die lange Wanderung zum Fählensee auf sich? Die Untersuchungen dazu lieferten keine schlüssige Antwort. Doch etwas anderes stach den Ökologen ins Auge: Aus den Daten von Fischbesatz und Fangerträgen liess sich ein Muster erkennen! Könnten eingesetzte Namaycush für den Fangrückgang am Fählensee verantwortlich sein? Entwicklung von Besatz und Fangertrag  Seit Mitte der 1980er-Jahre werden fischereiliche Bewirtschaftungsmassnahmen am Fählensee durchgeführt. Durch den Besatz mit Namaycush-Sömmerlingen schnellten die Fangerträge bis 1991 in die Höhe, brachen daraufhin jedoch von 1488 gefangenen Fischen (1991) auf 770 (1992) plötzlich ein. Nach einem erneuten Besatz Mitte der 1990er-Jahre stiegen die Fangzahlen wieder kurzfristig an, bevor diese zwischen 2002 und 2004 erneut um 60 Prozent abnahmen. Man stand vor einem Rätsel. Wie lassen sich derartige Fangeinbrüche nach starken Fanganstiegen erklären?  Die erstbesetzte Namaycush-Generation von 1984 war bis 1991 auf eine Länge von 50 bis 70 cm angewachsen. Im Alter von sieben Jahren lassen sich Namaycush nicht mehr mit Insekten und Fischlarven abspeisen. Auf dem Speiseplan stehen nun definitiv grössere Fische. Überschlagsmässige Berechnungen zeigten schnell, dass aufgrund des enormen Nahrungsbedarfs bereits wenige ausgewachsene Namaycush ausreichen, um einen Einbruch bei den fangfähigen Fischen zu bewirken.  Auf die rückläufigen Fangzahlen wurde mit immer grös­seren Besatzmengen reagiert. Zunächst noch mit jährlich 2000 Namaycush- und 10 000 Bachforellensömmerlingen, ab 2007 mit einheimischen Seesaiblingen (Salvelinus umbla) anstelle der Namaycush. Doch der hohe Besatzaufwand zahlte sich nicht aus. Die Fang­erträge sanken weiterhin, bis 2012 mit 26 gefischten Tieren der Tiefpunkt erreicht wurde. Die Besatzfische landeten nicht im Feumer der Angler, sondern wahrscheinlich in den Mägen der Namaycush.   Von der Idee zur Sonderfangaktion Den Behörden schien die Hypothese, wonach die gros­sen Namaycush im Fählensee den Fischbestand beträchtlich reduzierten, schlüssig. Sie gliederten das weitere Vorgehen in drei Etappen:  Sensibilisierung und Plausibilisierung Bestandesreduktion Namaycush Zukünftiges Fischereimanagement Zuerst wurde über die mutmasslichen Gründe des Fang­rückgangs informiert. Es folgte die Abschaffung des Fangmindestmasses für Namaycush und auf Antrag der Fischer eine teilweise Aufhebung des Nachtfangverbots. Mit Echolotaufnahmen konnten im Sommer 2018 rund zehn Fische mit Längen über 50 cm lokalisiert werden, worauf eine Sonderfangaktion zur Reduktion grosser Namaycush geplant wurde. Am 3. Oktober 2018 war es schliesslich soweit. Die grossmaschigen Grundnetze wurden über den gesamten See verteilt gesetzt und am nächsten Morgen wieder eingeholt.   Fischers Fisch im Magen des Jägers Die beiden Männer auf dem Boot grinsen zufrieden in die Runde, als das Boot mit den eingeholten Netzen am Ufer des Sees anlegt. 13 grosse Fische sind in die Netze gegangen. Darunter sieben grosse Namaycush. Der längste misst 73 cm und ist 4,4 kg schwer. Die gefangenen Fische zeigen eine klare Dominanz von gros­sen, adulten Namaycush und Bachforellen mit Längen von mehr als 54 cm. Obwohl auch kleinere Seesaiblinge bis 34 cm in die Netze gehen, werden keine kleineren Namaycush gefangen.  Die Mageninhaltsanalyse der gefangenen Fische bestätigen die räuberische Lebensweise der Namaycush auf eindrückliche Weise. Jeweils zwei bis drei Futterfische mit Längen zwischen 14 und 27 cm können den Mägen der gut genährten Namaycush entnommen werden. Hauptsächlich handelt es sich dabei um einheimische Seesaiblinge.  Anhand der Fischschuppen wurde im Labor das Alter der entnommenen Fische bestimmt. Die gefangenen Namaycush waren alle 5 bis 7 Jahre alt (Jahrgänge: 2011 bis 2013), sie sind also nicht Überlebende des offiziellen Besatzes, welcher 2007 endete. Ob es sich bei den gefangenen Räubern um naturverlaichte oder illegal eingesetzte Tiere handelt, bleibt ungeklärt. Allerdings bietet der ziemlich nährstoffreiche Fählensee aufgrund der Veralgung und Verschlammung des Sediments sowie der Sauerstoffarmut im Winter nicht ideale Laichbedingungen.    Biometrische Daten der gefangenen Fische   Länge Gewicht Jahrgang Mageninhalt Namaycush 75 cm 4650 g 2011 Seesaibling: 20 cm Seesaibling: 21 cm Namaycush 69 cm 3700 g 2011 Seesaibling: 18 cm Bachforelle: 17 cm Bachforelle: 14 cm Namaycush 73 cm 4400 g 2011 unbestimmbar: 15 cm Seesaibling: 21 cm Seesaibling: 14 cm Namaycush 70 cm 3850 g 2012 Seesaibling: 27 cm Seesaibling: 17 cm Namaycush 66 cm 2800 g 2013 Seesaibling: 22 cm unbestimmbar: 15 cm unbestimmbar: 15 cm Namaycush 57 cm 1600 g 2013 Seesaibling: 14,5 cm unbestimmbar: 12 cm Namaycush 59 cm 1950 g 2012 leer Bachforelle 54 cm 1750 g 2013 leer Bachforelle 61 cm  2250 g  2011  leer (Schleim, Wasser) Seesaibling 34 cm 550 g n. b. Seesaibling-Rogen Seesaibling 32 cm 300 g n. b. leer Seesaibling 28 cm 150 g n. b. leer (Schleim) Alet 55 cm 2150 g n. b. Algen     Zunehmender Beutedruck  Auf Basis der Schuppenanalyse konnten die jährlichen Wachstumsraten und Gewichtszunahmen bestimmt werden, wodurch wiederum Rückschlüsse auf den jährlichen Futterkonsum möglich sind.  Dabei steigt der Fischverzehr des Namaycush mit zunehmendem Alter stark an. Eine Studie aus Nordamerika (Stewart et al. 1983) konnte zeigen, dass das Verhältnis zwischen Gewichtszunahme und aufgenommener Nahrung von 1:4 im...

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