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Wie geht es den Flusskrebsen in der Schweiz?

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Der einheimische Dohlenkrebs ist aufgrund der Krebspest in den grossen Gewässern der Schweiz verschwunden und nur noch vereinzelt in Seitenbächen zu finden.

Die Krebse sind heimliche Bewohner vieler Schweizer Gewässer. Die nachtaktiven Tiere führen ein Leben im Verborgenen und nur wenige Fischer kennen die verschiedenen Arten. Die beiden Fischerkollegen Dominik Hügli und Antonio Esposito aus dem Baselland begeistern sich für die Flusskrebse und beschreiben uns ausgehend von ihrem Hausgewässer, wie es um die Schweizer Krebse steht. Um 6 Uhr abends ist an diesem Novembertag im Laufental bereits tiefste Nacht. Im Auftrag des Kantons Basel-Landschaft fahren Dominik Hügli und Antonio Esposito der Birs entlang Richtung Delémont. Irgendwann biegen sie in ein Seitental ab, später auf einen Waldweg und nach einer holprigen Fahrt steil bergauf sind sie am Ziel. Mit Stirn- und Taschenlampen gehen sie durch den dichten Wald zu einem kleinen Bach. Das glasklare Gewässer bildet kurz unterhalb der Quelle einen natürlichen Bachlauf und ist mit Totholz übersät. Es scheint, als könne man das Wasser trinken. Nach etwa zehn Sekunden weist Dominik, Bio-Geograf mit Spezialisierung Naturschutzbiologie, auf einen fingerlangen Krebs im Wasser. Er streift zwei blaue Latexhandschuhe über und nimmt das Tier aus dem Wasser: «Ein Dohlenkrebs.» Es ist eine der drei einheimischen Flusskrebsarten und die einzige, die im Einzugsgebiet der Birs in grosser Zahl vorkommt. Oder besser gesagt vorkam, denn der Bestand nimmt seit einigen Jahrzehnten dramatisch ab. Sie folgen dem kleinen Bächlein und es ist ein Leichtes, weitere Tiere zu finden. Hunderte Tiere sind im Schutz der Nacht unterwegs und erstarren jeweils für kurze Zeit im Licht der Taschenlampen. Alles Dohlenkrebse, die keine Anzeichen eines Pilzbefalls aufweisen. Dominik ist begeistert: «Niemand hätte mit solchen Beständen gerechnet. Nach dem Drama in der Lützel waren wir aufs Schlimmste gefasst.» Mit Sperren Schlimmeres verhindern Landesweit war das Krebssterben 2013 an der Lützel in den Medien. Im kleinen Fluss, der bei Laufen in die Birs mündet und vorher über 25 Kilometer durch die Kantone Jura, Solothurn und Basel-Landschaft fliesst, lebte bis dahin einer der grössten Dohlenkrebsbestände der Schweiz. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Zuerst fand man einige tote Tiere mit Anzeichen der Krebspest, ein halbes Jahr später war die gesamte Population ausgestorben. Raphael Krieg, Co-Leiter der Koordinationsstelle Flusskrebse Schweiz (KFKS), die im Auftrag des BAFU die Kantone berät und auf Handlungs- und Wissensebene vernetzt, ist einer der führenden Flusskrebsfachleute der Schweiz. Er erklärt die Besonderheiten des Falls Lützel: «Es konnte damals keine invasive Krebsart in der Lützel gefunden werden. Wie die Krankheit dorthin gelangte, ist unklar.» Denkbar, so spekuliert er, sei eine Verschleppung durch Fischereiutensilien, Wasservögel oder Baumaschinen. Dennoch hat er gemeinsam mit dem Kanton Basel-Landschaft 2017 kurz vor dem Einfluss der Lützel in die Birs eine Krebssperre errichtet. Krieg erklärt den Sinn dieser Massnahme: «Die einheimischen Flusskrebsarten sind durch die Krebspest zwar bedroht, können jedoch nach einem Krebspestausbruch ein Gewässer wieder besiedeln, wenn es überlebende Tiere gibt oder Wiederbesatzmassnahmen stattfinden. Wandern jedoch invasive Signalkrebse aus der Birs in die Lützel ein, werden die einheimischen Dohlenkrebse durch die überlegene Konkurrenz vollends verdrängt. Der Signalkrebs ist aggressiver, vermehrt sich schneller und ist anpassungsfähiger.»   Die ersten Versuche mit Krebssperren fanden 2013 in einem Industriekanal im Raum Basel statt. Die Ergebnisse aus diesem und folgenden Projekten der KFKS zeigten vor allem eines: Signalkrebse sind äusserst wanderungsfreudig. Sie überwanden die getesteten Sperrenkonstruktionen teilweise über Land. Bis zu 4,5 Meter vom Wasser entfernt wurden Tiere gefunden. Zudem wurde beobachtet, wie sie über längere Zeit in Aushubmaterial von einem Kiesfang überlebten, womit eine Verschleppung durch bauliche Massnahmen als recht wahrscheinlich angenommen werden kann.  Die Sperren bergen zudem ein anderes Problem. Eine zeitgemässe Gewässerbewirtschaftung strebt die Vernetzung der Gewässer an und ist darum bemüht, künstliche Barrieren abzubauen. Die neuste Generation von Krebssperren, die 2017 in der Lützel eingebaut wurden, beeinträchtigt die Fischwanderung von schwimmschwachen Fischen. Krieg betont: «Eine Verschleppung von Krebsen durch Menschen können wir damit leider nicht verhindern. Es ist zurzeit aber die einzige Option, die natürliche Ausbreitung des Signalkrebses einzudämmen.»  Isolation und Vernetzung  In der Diskussion um die Sperren verweist Krieg auf die entdeckten Populationen in den kleinen Seitenbächen der Birs und der Lützel, die durch Dominiks und Antonios Monitoring bestätigt wurden: «Obwohl der Dohlenkrebs in der Birs ausgestorben ist, sind die Populationen in den Seitenbächen nach wie vor schützenswert.» Rückenwind erhält Krieg von Annegret Schaub, Präsidentin der Fischerei-Pachtvereinigung des Bezirks Laufen (FIPAL): «Ich persönlich wünsche mir eine möglichst grosse Biodiversität.» Sie macht darauf aufmerksam, dass zwischen Fischerei und Flusskrebsschutz heute kein Nutzungskonflikt besteht. «Unsere Hauptprobleme sind die vielen Bauaktivitäten in der Birs und vor allem die radikalen Abholzungsaktionen, die eine ausreichende Beschattung des Gewässers verunmöglichen. Dagegen anzugehen hilft Krebsen und Fischen gleichzeitig.» Der Wert einer Art Jede Art, so Krieg, erfülle gewisse Aufgaben. So fällt bei der Abwesenheit von Krebsen zum Beispiel jene ökologische Aufgabe weg, tote Fische in kurzer Zeit zu fressen, was die Ausbreitung von Krankheiten zur Folge haben kann. Bei einer Überpopulation von Signalkrebsen, die viel höhere Dichten als die einheimischen Flusskrebs­arten erreichen können, wende sich dieser Punkt jedoch ins Gegenteil. Studien haben gezeigt, dass Signalkrebse mit einheimischen Fischen um Nahrung und Verstecke konkurrieren und deren Anwesenheit somit zu einer geringeren Fischdichte führen kann. Es bestehe kaum Hoffnung, dass in den grossen Flüssen und Seen in der Schweiz in Zukunft noch einheimische Flusskrebse vorkommen werden. Das macht den Schutz der kleineren Seitengewässer umso wichtiger: «Wir müssen dafür sorgen, dass der Genpool einheimischer Arten in den kleineren Rückzugsgebieten gesichert werden kann.» Trotz der scheinbar ausweglosen Situation weist er auf einen Hoffnungsschimmer hin: «Es gibt inzwischen Studien aus Spanien, Slowenien, Finnland und der Türkei, die besagen, dass europäische Krebsarten eine Immunität gegen die Krebspest entwickeln können oder zumindest die Virulenz des Krebspesterregers abnimmt.» Auch wenn er langfristig das Problem mehr im Konkurrenzdruck durch die Signalkrebse als aufgrund der Krebspest sieht, stimmt ihn das doch positiv: «Solange gesunde Populationen existieren, ist in Zukunft eine Wiederbesiedlung vielleicht möglich. Wenn aber diese Restbestände ganz aussterben, stirbt die lokale Genetik und damit auch die ortsspezifisch angepassten Populationen aus, welche sich möglicherweise gegenüber den eingewanderten Krebsarten durchsetzen könnten.» «Böse» Krebse? Inzwischen sind einige Stunden vergangen. Rund um Dominik und Antonio ist das Nachtleben des Waldes erwacht. Käuze rufen, immer wieder...

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