
Es gibt auf der deutschen Seite des Bodensees konkrete Pläne, Felchen in Netzgehegen im offenen Wasser zu mästen. Der Landwirtschaftsminister des deutschen Bundeslands Baden Württemberg, Peter Hauk, ist bekennender Befürworter der Felchenmast in Netzgehegen im Bodensee. In der offiziellen Mitteilung vom 28. Juli 2016 schrieb sein Ministerium, die Experten der Fischereiforschungsstelle Langenargen hätten bereits untersucht, wie eine Zucht am Bodensee funktionieren könnte: «Wir haben die klassischen Untersuchungen gemacht, die züchterisch von Bedeutung sind», sagte damals Alexander Brinker, Leiter der Forschungsstelle. «Welche Krankheiten tauchen in einer Zucht auf? Kann man ohne Medikamente damit umgehen? Wie kriegen wir die Tiere an das Trockenfutter?» Weiter habe man untersucht, in welcher Haltungsdichte die Fische das Futter am besten verwerten und sie gut wachsen. Der Sandfelchen, eine grosswüchsige, bodennah lebende Art, solle sich für diese Zuchtform am besten eignen, war man sich in der Folge von Seiten der Forschungsanstalt sicher. Die Idee der Mast von Felchen im Ökosystem Bodensee, bis dato nicht mehr als ein Gerücht, wurde mit dieser Mitteilung schlagartig greifbar und öffentlich – und rief in der Folge Kritiker auf den Plan, die in der Fischmast im Bodensee eine ethisch nicht vertretbare sowie für Flora und Fauna äusserst gefährliche Massentierhaltung sehen. Offener Brief von Konstanzer Fischern Mitte Februar kursierte in Fischerkreisen ein offener Brief vom Angelsportverein Konstanz, der sich gegen das Projekt «Felchenmast im Bodensee» vehement zur Wehr setzt. Mitunterzeichner war auf Schweizer Seite auch der Thurgauer Fischereiverband FVTG. Dessen Präsident Christoph Maurer sagt dazu: «Wir pflegen beste Beziehungen zu den Fischerkollegen in Konstanz und sehen es genauso, dass wir keine weitere Massentierhaltung wollen.» Eine Felchenmast im Bodensee sei schlicht nicht vertretbar. Zudem hätte eine solche Massentierhaltung nicht nur negative Auswirkungen auf Fauna und Flora des Bodensees – der immerhin Trinkwasserspeicher sei für mehr als fünf Millionen Menschen –, sondern auch direkte negative Auswirkungen auf die Berufsfischerei auf Schweizer Seite. «Todesstoss für Bodensee-Berufsfischer» Reto Leuch, sowohl Präsident der Schweizer Berufsfischer als auch der Schweizer Berufsfischer am Bodensee, ist sich sicher: «Wenn der Felchen, unser Brotfisch, bald aus einer offenen Bodensee-Zucht käme, würde dies den Todesstoss für die Schweizer Berufsfischerei am Bodensee bedeuten.» Weiter sagt er: «Wir verstehen nicht, dass man sich so vehement dagegen wehrt, die Phosphorausfällung in den Kläranlagen zu reduzieren, dafür aber solche Projekte in Angriff nimmt.» Leuchs Bedenken sind nachvollziehbar: Wenn Felchen aus Zucht deutlich günstiger sind als die ebenfalls aus dem Bodensee stammenden (Wild-)Felchen, wird die Nachfrage nach den Wildfang-Fischen deutlich sinken, zumal auch die Zuchtfische mit dem Qualitäts-Siegel «Bodensee-Felchen» angeboten und verkauft werden dürfen. Pro Natura: Gegen Massentierhaltung Die Naturschutzorganisation Pro Natura spricht sich, ebenso wie die Sport- und Berufsfischer, gegen die geplante Felchenmast aus: «Netzgehege verursachen einen massiven Eintrag an Fischkot und Futtermittel in den Trinkwasserspeicher Bodensee. Aus Sicht des Natur- und Gewässerschutzes ist eine Belastung des Bodensees mit dem damit verbundenen Nährstoffeintrag unerwünscht.» Demgegenüber steht die Aussage des Landwirtschaftsministeriums Baden-Württemberg, wonach Aquakulturen den See «nicht oder nur unwesentlich belasten» sollen. Was ist mit Medikamenten? Massentierhaltung bedeutet meist auch Einsatz von Medikamenten. Offensichtlich ungeklärt ist zur Zeit die Frage, ob in der geplanten Felchenmast Antibiotika zum Einsatz kämen oder ob die Fische geimpft würden. Noch einmal Pro Natura: «Die Impfungen der Zuchtfische könnten die Wildfische schädigen. Zu befürchten sind weiter negative Auswirkungen auf die Wildfischpopulation des Bodensees – einerseits durch das Einschleppen von Fischkrankheiten oder Parasiten durch die Besatzfische, andererseits durch Kreuzungen mit entwichenen Fischen, die nicht dem Genotyp des Bodensees entsprechen.» Österreich: «Kein grundsätzlicher Einwand» Nikolaus Schotzko ist Leiter des Fachbereichs Fischerei und Gewässerökologie und amtet als Fischereisachverständiger beim Amt der Vorarlberger Landesregierung, Österreich. Er schreibt auf Anfrage: «Ich darf Ihnen mitteilen, dass ich aus fischereifachlicher und limnologischer Sicht keinen grundsätzlichen Einwand erkennen kann, der gegen ein solches Vorhaben sprechen würde. Netzgehege sind ein weit verbreiteter Standard in der Aquakultur weltweit und eine besonders kostengünstige und – abhängig von Besatzdichten sowie Art und Grösse der Fische – auch eine besonders artgerechte Form der Haltung von Fischen und eben nicht, wie man aufgrund der Pressemeldungen in den letzten Monaten meinen möchte, von vorne herein negativ und abzulehnen.» Zucht im Bodensee nicht notwendig Bei unseren Recherchen zum Thema taucht mehrmals der Name «Migros» und «Micarna» auf. Es gab Berichte, wonach der Schweizer Detailhändler den Vertrieb der Zuchtfelchen übernehmen werde. Auf Nachfrage beim Migros Genossenschaftsbund teilt man «Petri-Heil» zwar mit, dass einmal das Interesse an der Erich Geiger GmbH (Vertriebsunternehmen für die Zuchtfelchen) bestanden habe, es dann aber nicht zu einer finanziellen Beteiligung gekommen sei. Die Begründung der Migros: «Der Bodensee ist einer der wichtigsten Trinkwasserspeicher für eine relativ grosse Region. Es erscheint uns nicht notwendig, in einem Trinkwasserspeicher grössere Mengen Felchen zu produzieren. Man könnte auch mit einer RAS (Kreislaufsystem) an Land arbeiten.» Aus diesen Gründen strebe die Migros weder aktuell noch zukünftig eine Zusammenarbeit in diesem Projekt an. Was sagen unsere Behörden? Andreas Knutti vom Bundesamt für Umwelt BAFU schreibt: «Die IBKF (Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei, Anm. d. Red), worin ich das BAFU vertrete, wird sich bei einer nächsten Sitzung mit dem Thema Aquakultur in Netzgehegen im Bodensee befassen und mögliche Auswirkungen auf die Fischerei prinzipiell diskutieren. Solange jedoch weder ein konkreter Projektvorschlag vorliegt, noch ein Projektträger namhaft gemacht wurde, fehlen unserer Ansicht nach sowohl die Grundlagen als auch der Handlungsbedarf für eine konkrete Beurteilung.» Ähnlich tönt es beim St. Gallischen und Thurgauischen Amt für Jagd und Fischerei: «Da noch kein konkretes Projekt vorliegt, ist auch nicht klar, was es für Bewilligungen braucht und ob es bewilligt werden kann», erklärt uns Dr. Dominik Thiel, Leiter des St. Galler Amts, in einer gemeinsamen Stellungnahme beider Bodensee-Anrainer-Kantone. Wir bleiben wachsam Im Moment ist es so, dass Deutschland und Österreich das Projekt unterstützen, Felchen im Bodensee in Netzgehegen zu züchten. Die Schweiz und ihre Vertreter halten sich noch bedeckt, bis ein konkretes Projekt vorliegt. Dies wird aber bald der Fall sein. Gemäss Kommunikationsabteilung des Landes Baden-Württemberg könnten bereits drei Jahre nach Erteilung der Bewilligung Zuchtfelchen auf den Markt gebracht werden. Diverse Fischer- und Umweltorganisationen kämpfen dagegen und hoffen, dass es nicht dazu kommt. «Petri-Heil» bleibt am Ball....
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